Erfahrungen mit Grenzen

Kind vor East Side Galerie Berlin Grenzen
An der East Side Galerie Berlin

Janett, eine Bloggerkollegin vom Blog Teilzeitreisender, lädt zum Jahrestag von 30 Jahren Wiedervereinigung ein zur Blogparade zum Thema Grenzen. Da machen wir doch gerne mit, dieses Thema hatten wir auch hier auf dem Blog schon zum Thema Mauerfall.

Es ist ein Thema, das immer mit uns verbunden sein wird, denn wir sind beide in der DDR geboren und aufgewachsen, also wird es immer ein Teil von uns bleiben, auch wenn wir inzwischen einen Großteil unseres Lebens ohne die damals bestehenden Grenzanlagen verbracht haben, die Freiheit des Reisens und eines Europas ohne für uns großartig zu erkennende Grenzen verbracht haben. Aber dieses spezielle Jahr 2020 zeigte uns auch wieder Grenzen und das dann auch wieder ganz physisch!

Grenzen in der Kindheit

Europa ist für mich berliner mauer 9.november

Für mich waren Mauer und Grenze in der DDR immer real und greifbar, denn meine Großeltern lebten in Berlin, im Osten der Stadt, bei Besuchen sah ich sie also die Mauer. Das der Weg mit der Bahn damals viel länger dauerte wie heutzutage, da man ja immer einen Bogen fahren musste, wusste ich damals nicht. Mein Schwager arbeitete eine Zeit lang als Zöllner in Potsdam Drewitz, mir war also klar das es da eine Grenze, eine Mauer gab und es war für mich als Kind ganz normal und einfach eine Selbstverständlichkeit, das es sie gab.

Ich kannte die Erzählungen meiner Mutter, die als Jugendliche vor dem Mauerbau ganz selbstverständlich auch immer in Westberlin war und hörte auch den Wunsch: „Ach wäre es schön, noch einmal nach Westberlin zu kommen!“ von ihr. Aber eine Vorstellung das das mal möglich wäre, nein die hatte ich nicht, genauso wenig das ihr Wunsch einmal Skandinavien zu sehen und zu erleben einmal Wirklichkeit werden würde und das auf ganz andere Art und Weise wie nur als im Urlaub, auch das völlig unvorstellbar in der Kindheit.

Das Übertreten der Grenze zur Tschechoslowakei war die Einzige der Grenzen, die wir einfach so übertreten konnten, und das war schon immer etwas Besonderes. Andere Sprache, andere Sachen in den Geschäften, anderes Essen, ich habe es geliebt und jedes Mal gefreut! Es war immer ein schönes Erlebnis.

Als dann im Sommer und Herbst 1989 immer mehr Menschen in den Westen verschwanden, plötzlich war auch unsere Klassenlehrerin nicht mehr da, war das schon merkwürdig.

Als dann immer mehr Menschen auf die Straße gingen im Herbst, auch meine Eltern waren jeden Montag auf den Demonstrationen. Am Anfang durfte ich nicht mit, später, als dann klar war, die Demonstrationen bleiben friedlich durfte ich dann auch mit und es war einfach unbeschreiblich, diese friedlich, doch sehr starke Stimmung zu erleben, die Rufe nach Freiheit und Reisefreiheit, nach Demokratie und die Kraft des Volkes zu erleben, das hat mich sehr geprägt und da wurde mir klar: Grenzen sind von Menschen gemacht und auch von Menschen überwindbar!

Videoinstallation Berlin November Demo DDR
Videoinstallation November 2019 zum Thema Demonstrationen im Herbst 89

Als dann die Mauer fiel und wir in übervollen Zügen, ich habe teilweise nur oben im Gepäcknetz Platz gefunden, dann in den „Westen“ fuhren das erste Mal nach Westberlin und später dann noch nach Bayern, denn Bayern zahlte noch einmal Begrüßungsgeld, irgendwie total schräg und aus heutiger Sicht einfach nur verrückt! Aber das Erlebnis, das erste Mal im Westen zu sein, war schon etwas ganz Besonderes, das der erste Weg für die meisten dann zu den Banken führte, um das Begrüßungsgeld zu holen, irgendwie bezeichnend für den Kapitalismus der BRD.

Aber das Erlebnis des ersten Besuches war ziemlich überwältigend, nicht nur die erschlagende Auswahl in den Geschäften, Obst, welches ich noch nie gesehen hatte. Diese Gerüche nach Seife und Waschmittel, der Geruch der begegnete einem auch immer in den Intershops, doch hier roch irgendwie alles danach. Die freundlichen Menschen, die einen begrüßten, über all bekam man als Kind Obst oder Schokolade zugesteckt, das war schon ein Erlebnis! Die Freude meiner Mama, als wir in Stadtteile gingen, in denen sie große Teile ihrer Jugend verbrachte, war einfach wunderbar zu erleben.

Wir genossen es einfach die Grenze überqueren zu können und einfach hin und herzureisen. Das behielten meine Eltern immer bei, sie versuchten soviel wie möglich zu reisen, alles mit ihren kleinen Möglichkeiten, sie reisten nur mit Bus oder PKW, nur zu uns nach Norwegen flogen sie dann auch mal.

Heutige Grenzerfahrungen

Heute in Europa spielen Grenzen, zumindest physisch eigentlich keine Rolle mehr, zumindest für uns mit dem richtigem Pass. Allerdings zeigte sich im Rahmen der Coronakrise ganz deutlich , das das ein fragiler und leicht wieder zu ändernder Zustand ist, wie schnell waren die Grenzen geschlossen und man konnte nicht einfach so reisen. Das passierte zwar aus gutem Grund, doch zeigte es eben auch wie schnell Grenzen eben wieder aufgebaut sind, rein physisch.

Wir hier in der Europastadt Görlitz spürten es ganz deutlich und das führte zu großen Problemen, denn hier arbeiten und leben die Menschen auf beiden Seiten der Grenze und die Grenzschließung führte zu getrennten Familien, Freunden und Nachbarn.

Altstadtbrücke Görlitz Grenze PolenDeutschland
Altstadtbrücke Görlitz dort wurde im Frühjahr 2020 wieder ein Grenzzaun errichtet

Auch wie wichtig eine offene Grenze für den Transport und Warenverkehr ist, zeigte die Grenzschließung, kilometerlange Staus mit Wartezeiten mit vielen, vielen Stunden waren die Folge.

Aber Grenzen sind ja nicht nur zwischen Länder zu finden, sondern auch in den Köpfen der Menschen. Gerade nach unserer Rückkehr aus Norwegen nach Deutschland, hier in diese Region fällt es uns immer wieder auf, wie oft die Menschen hier noch zwischen West und Ost teilen. Nach 30 Jahren sollte man meinen, das das doch mal aufhören sollte, aber nein irgendwie nicht, und es braucht wahrscheinlich noch mindestens eine Generation, um diese Grenze im Kopf auch noch ein zu reißen.

Ein schwieriges Thema über das man stundenlang diskutieren kann, warum es gerade hier in der Region ist wie es ist, auch gerade auch im Hinblick auf die Erfolge von rechten Parteien und dem Ankommen rechten Gedankengutes in der Mitte der Gesellschaft. Auch darüber haben wir bereits mehrfach geschrieben, unsere Gedanken zu den Ergebnissen der Europawahl im letzen Jahr zum Beispiel.

Das es für viele Menschen vor 30 Jahren hier nicht einfach war und viel mehr passierte wie nur ein Fall von Grenzen, das ganze Existenzen zu Fall kamen, das die Wiedervereinigung nicht so lief wie von vielen erhofft und gewünscht. Das sicher viel zu wenig der positiven Eigenschaften der DDR genannt und auch übernommen worden.

Das die Wiedervereinigung eher an die Aufnahme der armen Verwandtschaft im Kreis der Reichen wirkte, wo man dann als arme Verwandtschaft nicht viel zu sagen hatte oder sich nicht zu sagen traute, das ist für mich ganz klar und ein Grund, das es hier in so vielen Köpfen noch Grenzen gibt, die von vielen im Moment vielleicht eher noch höher gebaut werden. Daran müssen wir alle arbeiten und das sollte dadurch passieren, das wir mit einander sprechen und genauso wichtig einander zu hören.

Trabi East side galerie Berlin Grenzerfahrungen
East Side Galerie

Grenzerfahrungen in Skandinavien

Brücke im Wald an der Grenze Norwegen/Schweden Fotoparade 201
Brücke im Wald in Storlien an der Grenze von Norwegen und Schweden

Schon bei meinen ersten Besuchen in Skandinavien, zusammen mit meinen Eltern in Dänemark zum Beispiel auf unserer Lieblingsinsel Rømø fiel mir auf, das die Häuser und Gärten nur sehr, sehr selten von Zäunen umgeben waren. Das fand ich immer sehr interessant, auch als wir nach Norwegen auswanderten, erlebten wir selten Zäune oder Mauern. Zäune findet man meist nur dort, wo sie auch als Grenze für Haustiere dienen, aber um Häuser und Gärten sind sie die Ausnahme.

Das fühlt sich eigentlich immer ganz gut an und spiegelt auch die natürliche Offenheit vieler Menschen in Skandinavien wieder. Grenzen werden respektiert, aber dazu braucht man in Skandinavien nicht unbedingt eine physische Barriere und ich glaube wenn man nicht ständig vor Grenzen stößt die physisch sichtbar sind, es es auch etwas einfacher Grenzen in Köpfen kleiner zu halten bzw. manchmal einfach bestehende Grenzen dort ein zu reißen oder durchgängiger zu machen.

Was sind eure Erfahrungen und Meinungen zum Thema Grenzen? Macht einfach mit bei der Blogparade oder schreibt gerne eure Meinungen zu dem Thema in den Kommentaren.

12 Kommentare

  1. Interessant wie ihr die Grenze erlebt habt. Ich stand ja sozusagen auf der anderen Seite, im Westen und habe ganz andere Erfahrung mit der deutsch-deutschen Grenze gemacht (bin am Artikel dran). Leider keine schönen Erfahrungen. Zumindest nicht, solange es die „Zonengrenze“ gab.
    Heute liebe ich den Osten. Leipzig und Erfurt gehören zu den Lieblingsstädten. Die alten Hansestädte an der Ostseeküste sind wunderbar und meine beste Freundin ist aus Leipzig.
    Und doch rutscht auch mir immer noch das Ost-West raus. Es hat sich aber im Laufe der Zeit gewandelt. War es anfangs noch eher die Beschreibung des „guten“ Wessis“ und des „armen“ Ossis, so ist es heute für mich einfach eine Hilfe bei der Beschreibung, so wie es auch Nord- und Süddeutschland gibt.

    Natürlich kenne ich auch viele andere Grenzen. Die eigenen, die psychischen, die pysischen, Grenzen, die man Kindern setzt usw. Ein sehr vielfältiges Thema, das Janett da vorgegeben hat. Ich bin gespannt, was noch alles für Artikel online gehen.

    Liebe Grüße „aus dem Westen“ 😉
    Liane

  2. Danke für deine Erfahrungen. In Deutschland sind es meiner Meinung nach vielfach die Grenzen und Mauern in den Köpfen, die uns an einer Weiterentwicklung hindern. Die deutsche Mauer hinderte uns körperlich am Reisen, hatte aber auch etwas Gutes: die Natur konnte sich hier 28 Jahre lang fast ungestört entwickeln. Heute heisst die Mauer das „Grüne Band“ und verläuft quer durch Europa. IDe eigentliche Mauer haben wir nach Osten verschoben …

  3. Vielen Dank, dass du deine Erfahrungen zur Verfügung stellst. Interessant wie du Grenzen erlebt hast. Das mit den fehlenden Zäunen ist ubs dieses Jahr in Schweden auch bewusst aufgefallen und ich finde es super.

  4. Ich bin im „Zonenrandgebiet“ aufgewachsen, die Hälfte meiner Verwandtschaft lebte und lebt noch im Osten und wir sind mindestes einmal im Jahr dorthin gereist. Zuerst mit dem Zug, denn mit dem Auto durfte man nicht einreisen, dann mit dem Auto auf festgelegter Route. Wie oft hatten wir Probleme an der Grenze… Erstmal „drüben“, war dann alles wieder schön. Herzliche Leute, tolle Gegend, viele Freunde, die ich jetzt noch habe.
    Benötigen wir Grenzen wirklich? Sind die Grenzen im Kopf und den Gedanken nicht viel schlimmer?
    Ich frage mich, wann die Menschheit diese endlich überwindet.
    Nachdenklich Grüße
    Gabriela

  5. Liebe Ina,
    als die Grenzen zwischen BRD und DDR geöffnet wurden, war ich im letzten Schuljahr und habe habe auch gerade die ersten Bewerbungen geschrieben. Für mich hieß „reisen“ in der Kindheit immer, Grenzen zu überqueren – eben auch die in Europa. Die waren damals noch lange nicht so offen wie jetzt. 😉 Was für ein Luxus, dass wir jetzt wirklich fast überall hin reisen können, wie und wo wir möchten. Corona hält das wirklich vor Augen, in welcher Freiheit wir eigentlich mittlerweile leben.
    Liebe Grüße
    Tanja

  6. Ein spannendes und vielschichtiges Thema!
    Die Mauer als Grenze hab ich nie kennengelernt hier im Südwesten. In Berlin und in Dresden war ich lange nach dem Mauerfall, da waren nahezu keine Unterschiede mehr zu sehen.
    Grenzen in andere europäische Staaten mit stundenlangen Staus hatten wir früher bei unseren Urlaubsreisen. Da können wir heute viel komfortabler reisen.
    In der Corona-Krise werden uns allerdings wieder viele Grenzen in jeglicher Hinsicht aufgezeigt, was für mich vor einigen Monaten unvorstellbar war.

  7. Als Teenager waren wir auf Klassenfahrt im Harz. Dort bin ich bei einer geführten Wanderung zum ersten Mal mit der Grenze direkt in Kontakt gekommen. Das war schon ein merkwürdiges Gefühl damals. Ich glaube, bei uns weiß heute noch jeder ganz genau, was er am Tag des Mauerfalls gemacht hat, oder?
    Danke, dass Du Deine Geschichte mit uns teilst.
    Viele Grüße von Sanne

  8. Liebe Ina,
    sehr spannend zu lesen, wie Du die Zeiten rund um die Grenzöffnung erlebt hast.
    Ich habe in den letzten Tagen auch intensiv nachgedacht, wie es für mich war. Was ich tat und wo ich war.
    Zumal die Innerdeutsche Grenze noch als Klassenfahrt Programm Pflicht war.
    Und heute befindet sich dort ein Grünes Band – glücklicherweise.

    Liebe Grüße Katja

  9. Es ist spannend, wie sich unser Gefühl von Grenzen doch verändert hat in den letzten 30 Jahren. Mit diesem zusammenwachsenden Europa fühlt es sich manchmal an, als gäbe es keine. Und dann, in Krisen wie der Flüchtlings- oder der Covid-Krise sind sie auf einmal wieder da, so real. Und man merkt, dass sie eigentlich nie wirklich weg waren.
    Das fand ich schon auch ein bisschen erschreckend. Ich hoffe, dass die Idee der offenen Grenzen, des zusammenwachsenden Europa in der nächsten Generation noch sehr viel selbstverständlicher sein wird.

  10. Ich hab damals im Rahmen einer Klassenfahrt die DDR-Grenze noch überschritten, ein mulmiges Gefühl seinerzeit. Grenzen und Mauern existieren vor allen Dingen in den Köpfen der Menschen … DAS ist das eigentlich schlimme. Physikalisch greifbare Grenzen sind im Prinzip nur ein Bauwerk bzw.eine Landmarke – mehr nicht. Man muss halt damit umgehen können.

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